Vom Urgroßvater zum Urenkel
Am 3.Dezember 1990 übernahm ich, mit 21 als frischgebackener Konditormeister den Betrieb meines Großvaters. Ich stamme aus einer Bäckerfamilie mit langer Tradition, welche leider aus politischen Gründen nicht durchgängig fortgeführt werden konnte. Diese begann mit meinem Urgroßvater Walther Herrmann, welcher nach seinen Wanderjahren und der Meisterausbildung am 1.4.1914 die Bäckerei, Ried 4, im kleinen Arnstadt übernahm.
Fast zeitgleich zu seiner Hochzeit im August 1914 mit Anna Wachsmuth brach der erste Weltkrieg aus. 1915 wurde er eingezogen und so führte seine Frau den Betrieb allein weiter. In dieser Zeit kam der erste Sohn Walter zur Welt. Die ein paar Jahre später geborene Tochter Renate starb im Kleinkindalter. Als nun endlich die Kriegsschäden beseitigt waren, folgte die Weltwirtschaftskrise. Danach ging es aber endlich bergauf. Es konnte investiert werden - ein neuer Ofen, Mehlsilos, ein neuer Laden und Veränderungen am Haus. Die Mitarbeiter schliefen damals in den „Gesellenstuben“ im Haus ihres Meisters. Man arbeitete, saß gemeinsam am Tisch und die Chefin sorgte für das leibliche Wohl. In dieser großen liebevollen „Familie“ fühlten sich auch der Sohn Walter und die 1927 geborenen Zwillinge Ernst-Georg und Karl-Heinz zum Backen berufen. So lernte der Sohn Walter in Coburg das Konditorhandwerk.
Über seine Mutter Anna erzählte mir mein Großvater Ernst-Georg: „Meine Mutter sang immer ein Lied zum Aufstehen. Aber eines Tages weinte sie.“ Es war wieder Krieg und diesmal traf es auch die Kinder. Der Sohn Walter musste an die Front und kehrte nicht aus Stalingrad zurück. Die beiden Zwillinge hatten Glück im Unglück und wurden verletzt nach Hause geschickt. Weniger Glück hatten die Eltern - sie verloren durch Enteignung 1947 das Haus und die Bäckerei, angesparte Pensionen verfielen. Mein Urgroßvater kam in Haft nach Buchenwald und kehrte als gebrochener Mann zurück. Geblieben waren nur die Liebe zum Backen und sein Wissen, welches er an seine beiden Kinder weitergeben konnte.
Die Zwillinge erlernten das Backhandwerk und machten ihre Meisterausbildung. Ernst-Georg pachtete die Bäckerei seines Lehrmeisters in Ichtershausen. Karl-Heinz (der kinderlos blieb) führte sein erstes Geschäft in der Mozart-Straße. Später pachtete er die Bäckerei Kranz, Ried 18, die er bis Ende 1990 führte. 1964 wurde die Bäckerei in Ichtershausen geschlossen. Meine Großeltern zogen nach Arnstadt und stiegen in den Kartonagenbetrieb des Schwiegervaters ein. Die Firma Karton Schmidt brauchte zu dieser Zeit einen Nachfolger und so drückte mein Großvater abermals die Schulbank. Auch hier waren die Tage gezählt. Der Sozialismus duldete keine mittelständischen Betriebe und so wurde der Betrieb 1972 zwangsverstaatlicht.
Der heutige Standort
Nach der Enteignung suchte mein Großvater, immer noch mit Leib und Seele Bäcker, eine neue Bäckerei. Er kaufte 1975 die Bäckerei Jakobi in der Ichtershäuser Straße 10, Arnstadt, und startete mit 46 Jahren einen dritten Neuanfang. Zu spät für die Kinder: Er konnte die Liebe zum Backen nicht an sie weitergeben. Das Ende der Familientradition? Nein!
Da war ein kleiner Junge, der in den Schulferien viel Zeit in der Backstube verbrachte, zuschaute, experimentierte, später mithalf und sich zum Backen berufen fühlte – ICH. Bereits mit 14 Jahren wollte ich Bäcker werden. 1985 begann ich die Lehre zum Konditor, in meinem Geburtsort Leipzig. 2 Jahre später zog ich nach Arnstadt. Es begann die Ausbildung zum Konditormeister. Mein Großvater wurde zum wichtigsten Lehrmeister in meinem Leben. Sein Wissen, Können und seine Liebe zum Backen gab er an mich weiter.
Am 9. November 1989 fiel die Mauer. In dieser Zeit des Umbruchs erhielt ich den Meisterbrief als Konditor und übernahm die Bäckerei meines Großvaters. Vom Erfolg des neuen Ladens berauscht, folgte ab 1991 die erste Filiale, eine zweite und dritte folgten. Nun war ich mehr Chef als Bäcker. 2003 wurde mir klar, dass Backen meine Berufung ist und nicht das Leiten eines größeren Unternehmens. 2005 trennte ich mich von den Filialen. Ich konzentrierte mich wieder auf mein Hauptgeschäft, einen kleinen Familienbetrieb, der nach alter Familientradition bäckt und bei dem der Kunde im Vordergrund steht.
Der Weg zur Bio-Bäckerei
Nachdem ich die Filialen aufgeben musste, bildete ich die drei verbliebenen Lehrlinge fertig aus, welche in den kommenden Jahren die neue Stammmannschaft der Bäckerei bildeten. Sie bewiesen, dass ein junges Team und alte Backtraditionen keine Gegensätze sind. Langsam kamen wir wieder auf die Beine und unsere Kunden lernten die Qualität und Tradition zu schätzen. Seit 2011 wandten wir uns verstärkt gesundheitlichen Themen zu und verbannten nach und nach die Zusatzstoffe in unseren Backwaren. Mit der Zertifizierung für Bio-Produkte im Jahr 2015 möchten wir den Weg zu gesünderen Lebensmitteln ebnen. Seit Mai 2015 gibt es bereits ein kleines Bio-Sortiment, welches aus Backwaren ohne Weizenmehl besteht. Und dabei sollte es nicht bleiben: bis 2017 stellten wir unser gesamtes Sortiment auf Bio-Mehle um.